Der Versuch, Joerg Utecht zu beschreiben, kann nur scheitern.
Kaum wage ich mich derer an seinem Blog:
Klangvoll mit und ohne Noten, mal großer, mal genügsamer Inhalt.
Weltgewandt, wortgewandt, weitblickend.
Und zugleich:
Ackererde unter den Fingernägeln, niederrheinische Bodenliebe.
Der Blog eines Menschen, mit dem ich mein Leben am Küchentisch verbringen möchte.
Blog: Utecht schreibt
Autor: Joerg Utecht
Datum des ersten Post: 3. Mai 2010
Domain: http://utecht.wordpress.com/
Joerg,
wann genau ich anfing, dich zu lesen, kann ich nicht erinnern. Doch schnell war klar, dass man mit dir nicht mittendrin
anfangen kann.
Dein Blog gehört zu den wenigen, die ich bis zum Anfang zurückblätterte:
„(…)Keine Kompromisse sollten gemacht werden. Zumindest zwei lassen sich jetzt schon benennen: Die dem Deutschen eigentuemliche Gross- und Kleinschreibung wird gerettet und angewendet. Als Ergebnis professioneller Verblendung vielleicht, Leseverhalten und Usability sind zu gut erforscht.
Desweiteren werden Texte wie dieser – Bastarde, hervorgegangen aus Orgien von Kommentar und stream of consiousness – gegenueberstehen redigierten Elaboraten journalistischen Anspruchsdenkens. Mit dem einzigen Zweck: Der immerhin moeglichen gedruckten Veroeffentlichung. Alles eine Frage von Konventionen und oekonomischen Zwaengen des Systems.(…)“.
Der erste Beitrag fast schon eine Kampfansage, folgt als zweiter einer über Spargel süß-sauer.
Es muss dir bewusst gewesen sein, welch ein Sprung das war. Hast du selbst sehr dabei geschmunzelt?
Schon Deine erste Frage, liebe Heike, fördert die grundsätzliche Ambivalenz zutage, mit der ich dem Bloggen begegne. Diesen Blog – mein zweiter privater, 2 Jahre zuvor gab es schon einmal ein Experiment mit Erfahrungsberichten aus Südostasien – begann ich in einer Phase beruflicher und persönlicher Umorientierung, Selbstfindung. Als gelernter Agenturmensch wollte ich schlicht ein paar technische Möglichkeiten ausprobieren (Blogsysteme als die besseren CMS). Und der Schreiber und PR-Fuzzi brauchte ein Ventil. Parolen und Manifeste zu formulieren war lange Zeit mein Broterwerb, das bricht sich bisweilen heute noch Bahn, leider. Andererseits habe ich eine Existenz als Blogger von Anfang an als die große Möglichkeit zum “Ich”-sagen und -schreiben begriffen. Hemmungslos subjektiv zu parlieren, auch mal Unbedachtes rauszuhauen – und dennoch die Lust an der Wortdrechselei nicht zu zügeln.
Und nein, ich schmunzel nicht darüber. Ich lache lauthals über mich selbst.
Eine Ambivalenz also auch in Deiner eigenen Betrachtung: Du nimmst Dein Ich einerseits so ernst, dass Du ihm eine Plattform bietest und kannst gleichzeitig auch darüber lachen. Eine gesunde Einstellung, wie mir scheint! Denkst du, dass viele Foodblogger über diese Fähigkeit verfügen? Liest du überhaupt regelmäßig andere Foodblogs?
Vor zwei Jahren hat mich ja irgendein Scherzkeks für den so genannten “BRIGITTE-Food-Blog-Award” nominiert. Das war, so weit ich mich erinnere, der Zeitpunkt, an dem ich das erste Mal darüber nachgedacht habe, ob sich mein Online-Tagebuch überhaupt kategorisieren lässt. Was ich hier mache, ist ja nicht monothematisch. Wäre mir auch viel zu langweilig, dieser Dreiklang aus Rezept + Foto + Befindlichkeitsprosa.
Dann also ein Genussblog? Weiß ich auch nicht so recht. Essen ist ja nur ein, wenn auch meiner Meinung nach der wichtigste, Bestandteil menschlicher Kultur. Deshalb mag ich andere Blogs, deren Netze nicht so enge Maschen haben. Und ja, ich lese viele Blogs, täglich eine bunte, meist zufällige Mischung. Neben den Bloggern, die ich persönlich kenne und zu denen naturgemäß eine größere Nähe entstanden ist, lese ich im Foodbereich regelmäßig hauptsächlich die Platzhirsche, diese beiden Schweizer, die Österreicherin, ein paar amerikanische. Ansonsten bin ich ein überzeugtes Opfer jeglichen Empfehlungsmarketings: Was das eigene Netzwerk online verlinkt, schaue ich mir auch meistens an.
Ist die Freude am Kochen und Essen diesem kulturellen Aspekt geschuldet, also hast Du dich bewusst entschieden, dieser Leidenschaft zu folgen – ich denke da an Kaffee und Kuchen – oder ist das eine gewachsene Liebe? Welche Rolle hat Kulinarik in Deiner Kindheit gespielt, was sind Deine liebsten, alten Erinnerungen an Essen?
Den kulturellen Rahmen habe ich mir tatsächlich erst später zurecht gebogen. Gekocht und gebacken habe ich allerdings schon als Kind. Ich bin mit vier Schwestern aufgewachsen, meine Mutter war eine großartige Familienköchin, die ihren pommerschen Wurzeln rheinische Blüten aufgepfropft hat. Wir hatten einen riesigen Garten und waren Selbstversorger – bis auf tierische Produkte. Doch halt, Hühner gab es auch – und vom Nachbarn Kaninchen. Ich war als 5jähriger schon beim Schlachten dabei und kannte also jedes Suppenhuhn mit Namen. Bis ich mit 18 auszog – und nach einer kurzen postpubertären Ravioli-aus-der-Dose-Trotzphase für mich selber zu kochen begann. Jeden Tag – bis heute.
Aber dennoch hat mein heutiges Verhältnis zur Kulinarik etwas mit bewusster Entscheidung und einigermaßen konsequentem Handeln zu tun. Ein Beispiel: Als niederrheinisches Kind wurde ich mit Möhren vollgestopft, meist in breiiger Form. Das hat diverse Traumata mit sich gebracht, meine Möhrenallergie war noch das am leichtesten zu bewältigende. Obwohl ich mit gekochten Karotten immer den süßen Dunst der Verwesung verbunden hatte, habe ich mich vor einigen Jahren ganz bewusst wieder diesem Gemüse genähert. Habe experimentiert mit Aggregatzuständen und Garmethoden. Verschiedene Varietäten versucht, selbst Möhren angebaut, die weniger süß waren. Und es hat funktioniert: Auch wenn ich nicht behaupten würde, dass sie inzwischen zu meinen Lieblingsgemüsen zählen, freue ich mich jedes Jahr auf die ersten vom Acker.
Nun, auch die Karotten leben ja in Erde, dem Reich der Verwesung…
Wie siehst Du die kulinarische Zukunft? Jetzt, da immer mehr Kinder nicht mehr erfahren, wie Gemüse ausschaut und wie es wächst? Für die Fleisch aus der Verpackung kommt und keinen Bezug zu einem lebenden Tier mehr hat? Lassen Dich die Bestrebungen vieler Organisationen und “Foodies” in Sachen Ernährung positiv in die Zukunft schauen, oder glaubst Du, dass wir uns in einer Art elitären Blase befinden?
Ich bin diesbezüglich gelernter Fatalist. Die Menschheit fährt den Laden mit Schmackes vor die Wand, doch die Erde wird sich weiter drehen. Ein wenig mehr Demut, weniger “Humanozentrismus” tät uns allen gut.
Foodies sind naturgemäß ein elitärer Haufen. Von Herkunft, Bildung und Wohlstand mehr oder weniger eine homogene Gruppe Privilegierter mit zu viel Tagesfreizeit. Ich mach mir da nix vor – und bin ganz tief drinnen doch auch Romantiker, der sich nach einer besseren Welt sehnt. Andererseits war ich schon in Gegenden der Welt unterwegs, wo Menschen verhungern, bin durch Slums gegangen und habe von Nichts geblähte Bäuche gesehen. Insofern ist mir die heile deutsche regional-ökologisch-genussvoll-Essen-Szene zwar irgendwie Heimat, aber bestimmt nicht Mission.
In meinem Umfeld tu ich, was möglich ist. Genussvoll Essen ist mein wichtigstes Thema – und viele Menschen, die ich kenne, lasse ich das wissen. Immer mehr fragen nach. Dann antworte ich gerne. Aber: Keine Heilsversprechen!
Demut, in der Tat. Und wir sorgen uns, die nächste, möglichst exotische Zutat zu beschaffen…
Wie hoch schätzt Du den Einfluss von (Food-)Blogs auf die Welt da draußen ein? Und falls wir Einfluss haben, haben wir dann auch Verantwortung?
Das sehe ich relativ nüchtern. Ein Blog ist erst einmal ein Kommunikationskanal. Ein technisches Hilfsmittel, online zu publizieren – ohne allzu große Hürden. Wer da was und wie in die Welt hinausposaunt – qualitativ ist diese Szene inzwischen so bunt wie ein grauer Alltag. Quantitativ hat sich gerade im Genussbereich im letzten Jahr noch einmal deutlich was bewegt. Ich verliere da langsam den Überblick.
Stichwort Verantwortung: Blogs sind ja oft Lebenshilfe. Zuallererst für die Autoren – aber sicherlich auch für Suchende. Wenn Du zum Beispiel einer Suchmaschine kulinarische Fragen stellst, sind Foodblogs gut vertreten in der Ergebnisliste. Die Wahrnehmung steigt also – und damit die Pflicht, sich um die Belastbarkeit der Inhalte zu kümmern.
Ich blogge ja seit dem ersten Tag unter meinem Klarnamen und mit korrektem Impressum – weil ich mir dieser Tatsache aufgrund meines journalistischen Backgrounds stets bewusst war. Wenn ich einen Text veröffentliche, sollte er Hand und Fuß haben – und muss zumindest den gültigen gesetzlichen Anforderungen genügen.
Darüber hinausgehende Verantwortung, für eine bessere Ernährung der Menschen beispielsweise, habe ich nicht.
Das ist ein interessanter Ansatz zur “Belastbarkeit der Inhalte”:
Viele Jahre war die Anonymität für viele Internetnutzer das höchste der Ziele. Könnte man im Umkehrschluss sagen, dass unter Klarnamen verfasste Texte tendenziell zum einem vom Autor besser recherchiert und zum anderen vom Leser als fundierter wahrgenommen werden?
Für mich ist das schlicht eine Frage von Wahrhaftigkeit. Außerdem passt eine gewisse Zeigefreudigkeit doch ganz gut zum Bloggen.
Wenn ich wiederum einen interessanten Text lese, der mich fesselt, will ich in der Regel etwas über den Autor wissen. Das ging mir auch zu Beginn der Blogwelle hierzulande so, als bestimmt über 2 Drittel anonym unterwegs waren. Über regelmäßiges Lesen entstand dann eine Nähe – und das Bedürfnis, den Menschen dahinter kennenzulernen.
Was aber irrelevant ist, zumindest für mich: Die faktische Belastbarkeit von Blogtexten. Ich trenne bis auf den heutigen Tag zwischen Blogs und journalistischen Medien. Auch wenn einige Kollegen das bekanntlich anders sehen. Ganz kompliziert wird es, wenn es zu Professionalisierungstendenzen kommt – die Leute also versuchen, aus ihrem Onlinetagebuch ein Geschäftsmodell zu machen. Aber das ist ein anderes Thema.
Da sind wir nun fast wieder am Anfang: Eine der schönsten Seiten an Blogs ist ja grad, dass man völlig subjektiv vor sich hin plaudern kann. Oder auch ernsthaft, scherzhaft, blödsinnig. So entsteht diese wunderbare Vielfalt!
Hast Du einen eigenen Lieblingsbeitrag? Einen Beitrag, den wir unbedingt lesen sollten?
Meistgelesen ist die Nazi-Erbsensuppe: http://utecht.wordpress.com/2010/11/06/niederrheinische-erbsensuppe-ist-kein-nazi-eintopf/
Kurz und bündig meine Käsestulle: http://utecht.wordpress.com/2010/09/03/rheinisches-sandwich/
Doch ans Herz legen möchte ich Euch einen typischen Text aus meiner Feder: http://utecht.wordpress.com/2011/08/07/psychedelika-und-soetelsche-muhre/
Schwadronierend komme ich über Kulturgeschichtliches und Gartenbau zu einem meiner Lieblingsgemüse und ende mit einem wahrlich unspektakulären, aber perfekten Salat.
Herrlich! Vielen Dank!
Und danke auch für Lust und Zeit, uns in Deine Gedanken mitzunehmen!
Ich hoffe sehr, Dich bald wiederzusehen, bei einem Glas Wein. Oder zwei…
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